UKM Hirntumorzentrum

Chemotherapie und tumorspezifische Medikamente

Was versteht man unter Chemotherapie?
Unter Chemotherapie versteht man die Behandlung mit so genannten Zytostatika. Zytostatika sind Zellgifte, die besonders sich schnell teilende Zellen, wie z.B. Tumorzellen angreifen. Diese Medikamente können das krankhafte Zellwachstum der Tumoren hemmen und damit den Tumor verkleinern oder sogar ganz zerstören. Es gibt verschiedene Zytostatikaklassen, die an unterschiedlichen Stellen des Zellstoffwechsels  angreifen. Manchmal werden auch mehrere Zytostatika miteinander kombiniert, um die wachstumshemmende Wirkung zu verstärken. Die Chemotherapie ist eine so genannte „systemische“ Therapie, die im ganzen Körper wirkt und Absiedelung in andere Organe oder Gewebe verhindern soll. Im Gegensatz  hierzu bezeichnet man die Operation und die Strahlentherapie als „lokale“ Maßnahmen.
Wann wird bei Hirntumoren eine Chemotherapie durchgeführt?
Der Einsatz einer Chemotherapie hängt von der Lokalisation und dem Grad der Bösartigkeit des Tumors ab. Ist eine Chemotherapie indiziert,  wird bei Patienten mit Hirntumoren die Chemotherapie in der Regel nach der Operation und histologischen Sicherung des krankhaften Prozesses angewendet. Die Chemotherapie erfolgt dann entweder vor der Strahlentherapie („neoadjuvante Therapie“), gleichzeitig mit der Strahlentherapie („begleitende Therapie“) oder nach der Strahlentherapie („adjuvante Therapie“). In einigen Fällen ist die Chemotherapie auch ohne begleitende oder vorangegangene Operation bzw. Strahlentherapie möglich und sinnvoll. Kommt es trotz Einsatz der Chemotherapie zu einem erneuten Tumorwachstum, so wird die Chemotherapie intensiviert oder auf ein anderes Therapieregime umgestellt („Rezidivtherapie“).
Wie läuft eine Chemotherapie ab?
Je nach Medikament und Therapiekonzept kann die Chemotherapie entweder als Kapsel (orale Gabe) eingenommen oder über die Vene als Infusion (intravenöse Gabe) verabreicht werden. In Ausnahmefällen wird das Zytostatikum auch direkt in das Liqoursystem über ein spezielles Reservoir verabreicht. Es handelt sich dabei um ein sogenanntes Rickham- oder Ommaya-Reservoir, eine Kammer mit Verbindung zum Liquorraum, die unter die Kopfhaut eingebracht wird und wiederholt durch die Haut anpunktiert werden kann.
In den meisten Fällen kann die Behandlung ambulant erfolgen, das heißt eine stationäre Aufnahme ist nicht erforderlich. Bei schlechten Venenverhältnissen ist u.U. die Anlage eines so genannten Ports (spezielle Kammer, die unter der Haut liegt und mit einer Vene in Verbindung steht) notwendig, um die Medikamente sicher infundieren zu können. Ansonsten könnten – in Abhängigkeit von der Art des Medikamentes – Hautreizungen bis hin zu Gewebenekrosen auftreten, wenn die Chemotherapie neben die Vene läuft („Paravasat“). Die Chemotherapie läuft üblicherweise in Zyklen ab, d.h. nach Einnahme der Medikamente werden Therapiepausen von 1-4 Wochen eingelegt.
Welche Medikamente gibt es?
Die Blut-Hirn-Schranke ist eine natürliche Barriere, die das Gehirn vor eindringenden Giftstoffen schützen soll. Zur Chemotherapie von Hirntumoren werden deshalb Medikamente eingesetzt, die diese Blut-Hirn-Schranke passieren können. Man spricht auch davon, dass ein Medikament „liquorgängig“ sein muss, d.h. auch in die Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit aufgenommen werden kann. Dies trifft nur für eine geringe Anzahl von Zytostatika zu. Zu den Zytostatika, die heute bei Hirntumoren eingesetzt werden, gehören insbesondere alkylierende Substanzen wie Temozolomid oder Nitrosoharnstoffe (z.B. CCNU), Mitosehemmstoffe wie VP16  (Etoposid) oder Platinverbindungen (Cisplatin, Carboplatin).
Was muss ich bei einer Chemotherapie befürchten?
Das Nebenwirkungsprofil hängt von der Art der Chemotherapie ab. Grundsätzlich besteht das Problem, dass durch die Chemotherapie auch gesunde, sich schnell teilende Zellen angriffen werden. Die Nebenwirkungen der Zytostatika betreffen deshalb – je nach Substanz in unterschiedlichem Ausmaß – die Haarwurzeln, die Schleimhäute in Magen und Darm und das blutbildende System im Knochenmark. Es kann daher zu Haarausfall, Entzündungen der Mundschleimhäute, Übelkeit und Erbrechen, Durchfall und Blutbildveränderungen kommen. Eine Folge der  Blutbildveränderungen, die oft erst  einige Zeit nach  der Behandlung  einsetzt,  ist  die  Verringerung  der  weißen  Blutkörperchen („Leukozyten“) und damit eine Schwächung  der Krankheitsabwehr. Seltener sind  Gerinnungsstörungen  durch  zu  wenige  Thrombozyten oder  eine Blutarmut („Anämie“) durch  Mangel  an  roten  Blutkörperchen  („Erythrozyten“).  Das Blutbild muss daher während  einer  Chemotherapie regelmäßig  kontrolliert werden.  Viele dieser Nebenwirkungen lassen sich entweder durch die Wahl einer geeigneten Applikationsform vermeiden oder durch eine so genannte „supportive“ (unterstützende) Therapie behandeln. Erfreulicherweise sind in den vergangenen Jahren neue  Medikamente und Therapiekonzepte entwickelt worden, so dass die aktuellen Zytostatika gegen Hirntumore wirksamer und oft besser  verträglich sind als früher oder auch bei anderen Krebserkrankungen. 
Welche neuen Substanzen stehen für die Behandlung zur Verfügung?
Neben den klassischen Substanzen drängen auch einige neue Medikament auf den Markt, die bislang noch nicht frei verfügbar sind aber im Rahmen von klinischen Studien untersucht werden. Es handelt sich dabei in der Regel um Substanzen, die eine zielgerichtete und individualisierte Therapie ermöglichen sollen. Beispiele hierfür sind Medikamente, die die Gefäßversorgung von Tumoren blockieren (z.B. Angiogenesehemmer, Integrinantagonisten etc.). Eine Therapie mit diesen Medikamenten außerhalb von klinischen Studien muss im Vorfeld mit dem jeweiligen Kostenträger wegen der Finanzierung geregelt werden („off-label“-Gebrauch).