Frau Prof. Neumann, warum macht ein eigenständiges Fach Phoniatrie und Pädaudiologie Sinn?
Weil es ganz einfach keine andere Facharztrichtung gibt, die sich mit den Kommunikationsstörungen beschäftigt. Also mit Störungen der Stimme, des Sprechens, der Sprache und mit Hörstörungen des Kindesalters, einer Phase, die für die Sprachentwicklung besonders wichtig ist. Hinzu kommt das große Feld der Schluckstörungen. Es gibt jede Menge Schnittstellen mit anderen Fächern, z.B. der Kinderheilkunde, der Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, der Logopädie und der klinischen Linguistik, aber die Phoniatrie und Pädau-diologie ist doch etwas ganz Eigenes und dabei stark interdisziplinär arbeitend. Es gibt sie als kleines, aber feines Fach erst seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts. In einer Zeit, in dem Menschen nicht mehr stumm am Fließ-band arbeiten, sondern zunehmend im Beratungs- und Dienstleistungsbe-reich und daher sprachliche und stimmliche Kommunikation in ihren Beru-fen brauchen, scheint es mir besonders wichtig, unser Fach an Unikliniken in ausreichender Zahl vorzuhalten. Auch die alternde Bevölkerung erfordert eine phoniatrische Versorgung, denn Sprache, Stimme, Schlucken und Hören unterliegen im Alter Veränderungen.
Woran liegt es dann, dass nur wenige eigenständige Kliniken für Phoniatrie und Pädaudiologie existieren?
Fast immer gibt es ökonomische Gründe. Die Phoniatrie/Pädaudiologie ist fast ausschließlich im ambulanten Bereich tätig, und Hochschulambulanzen werden meist nicht kostendeckend vergütet. Sie rentieren sich in der Regel nur in Verbindung mit einem starken stationären oder chirurgischen Be-reich. Wir haben hier am UKM zum Glück eine „stationäre“ Anbindung durch unsere Tagesklinik. Damit die Phoniatrie-Pädaudiologie sich selbst trägt, muss es meiner Meinung nach zwei Bestrebungen geben: ihre Leistun-gen müssen im ambulanten Bereich besser vergütet werden, und wir müssen auch kreativ sein, um schwarze Zahlen zu schreiben. Also Fördermittel einwerben, Sozialpädiatrische Zentren, telemedizinische Sprechstunden oder wie wir eine Tagesklinik anbieten.
Welche Störungsbilder behandeln Sie?
Zum Spektrum unserer Klinik gehört die Behandlung von Kindern mit Stö-rungen des Gehörs und der Hörverarbeitung und -wahrnehmung, der Spra-chentwicklung und des Sprechens, des Redeflusses (z. B. Stottern), der Stim-me, des Schluckens, aber auch mit Lern-, Lese- und Rechtschreib-, Mathema-tik-, Aufmerksamkeits- und Verhaltensstörungen und mit komplexen Be-hinderungen. Dazu gehört auch die Versorgung von Kindern mit Hörgeräten, drahtlosen Signalübertragungsanlagen und – in Kooperation mit der Hals-, Nasen- und Ohrenklinik – Hörimplantaten wie z. B. Cochlea-Implantaten oder weiteren hörverbessernden Operationen. Für Jugendliche und Erwach-sene kümmern wir uns um Störungen der Stimme, des Sprechens, der Sprache, des Redeflusses sowie um Hör- und Schluckstörungen. Viele dieser Stö-rungen hängen mit der beruflichen Tätigkeit der Patientinnen und Patienten zusammen, zum Beispiel B. Stimmstörungen bei pädagogischen Kräften. Oder aber mit Altersveränderungen, zum Beispiel des Schluckens. Wir bieten aber auch einen eigenen Bereich für Stimmgesundheit und Musikermedizin an, den insbesondere Sänger, Sprecher und Schauspieler wegen Stimmstörungen aufsuchen.

