Wenn Eltern in der frühen Schwangerschaft erfahren, dass ihr Kind mit einer lebensgefährlichen Erkrankung auf die Welt kommen wird, bricht für sie eine Welt zusammen. So war es auch für Monika und Emanuel Hemesath aus Münster, als ihnen bei ihrem ersten Kind am Tag nach der zweiten großen Ultraschall-Vorsorge der Verdacht auf ein Steißbeinteratom mitgeteilt wurde. „Die Ärzte haben uns damals ausdrücklich gesagt, wir sollen die Diagnose auf keinen Fall googlen“, sagt Emanuel Hemesath. Daran hielten die Eltern sich auch tatsächlich, um sich auf das Überleben ihres Babys zu fokussieren.
„Das fetale Steißbeinteratom ist eine Gewebeneubildung (Neoplasie), die, wie der Name sagt, am Po des Kindes oft schon äußerlich zu sehen ist. Obwohl der Tumor bei Geburt meist gutartig ist, kann er entarten, wenn man nicht schnell operiert“ sagt der Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Prof. Heymut Omran. In Florentinas Fall war der Tumor so groß wie das Kind selbst. „Das Teratom kann aber auch innere Anteile haben, was eine Operation äußerst gefährlich und manchmal sogar unmöglich macht.“ Es liegt auf der Hand, dass es neben einer aufmerksamen Geburtshilfe auch eine ausgezeichnete Kinderchirurgie und sehr erfahrene Kinderintensivmedizin braucht, damit ein Kind diese Diagnose überleben kann. „Da gibt es deutschlandweit nur sehr wenige Zentren die das potentiell überhaupt können und auch dann kann niemand sagen, wie die Sache ausgehen wird“, so Omran weiter.
Schwangerschaften mit einem fetalen Steißbeinteratom als Diagnose beim Kind verlaufen typischerweise mit einer deutlich erhöhten Fruchtwassermenge. Das führte in der 30. Woche dazu, dass sich die Situation dramatisch verschlechterte. „Ich hatte einen vorzeitigen Blasensprung. Die UKM Geburtshilfe und insbesondere der Leiter, Prof. Klockenbusch, teilte mir mit, dass sich die Herztöne bei Florentina rapide verschlechtern und es nötig sein würde, das Kind ohne weiteren Transport sofort zu holen, so Hemesath. „Gleichzeitig war uns klar, dass es Florentinas Überlebenschancen nicht verbessen würde, wenn sie so viel zu früh geboren wird. Vorsorglich hatten die Pränatalmediziner meiner Frau aber Cortison-Spritzen zur vorzeitigen Lungenreifung gegeben“, sagt ihr Mann. Am 20. November 2016 wird Florentina per Notkaiserschnitt geboren. „Anders als bei normalen Kaiserschnitten mussten wir den Schnitt überdimensional groß setzen, um Kind und Tumor nicht zu verletzen“, so Prof. Walter Klockenbusch und sein Kollege Prof. Ralf Schmitz, die sich beide noch gut an diese besondere Geburt erinnern. Trotz des dramatischen Starts ins Leben, ist das gut 2 Kilo schwere Mädchen stabil. Das Teratom, das ungefähr so viel wiegt wie das Baby, wird abgedeckt und die Eltern dürfen ihre Tochter wenigstens kurz sehen. Gleich am Folgetag, morgens ab acht Uhr, operieren über viele Stunden die UKM-Kinderchirurgen. „Die Schwierigkeit war, den Tumor, der stark durchblutet war, nicht zu verletzten. Sonst hätte die kleine Patientin verbluten können“, erinnert sich Kinderchirurg Dr. Volker Müller. Abends um 22 Uhr ist er es, der Monika Hemesath im Bett zu ihrem Kind schiebt, um sie zu überzeugen, dass Florentina die Operation überstanden hat.
Heute ist Florentina weiter engmaschig am UKM in Betreuung: Weil im Narbengewebe zwei nicht zu definierende Gewebsknötchen entdeckt wurden, kontrolliert die Kinderonkologie das Blut des Mädchens regelmäßig auf Tumormarker – bisher ohne Auffälligkeiten. Auch die Kinderradiologie beobachtet das Geschehen dort, wo einst der kindsgroße Tumor war. In einigen Jahren wird bei Florentina eine rekonstruktive plastische OP nötig sein. Das nehmen Florentinas Eltern gern in Kauf: „Wenn ihnen vor der Geburt ihres Kindes jemand eine schlimme Diagnose nennt und sie gleichzeitig beschwört, sich bitte keine Bilder dazu anzusehen, rechnen sie jederzeit mit dem Schlimmsten. Wir haben diesen Bericht hier selbst angestoßen, um uns auf diese Weise bei allen zu bedanken.“