Eine Vorsorgeuntersuchung veränderte ihr Leben schlagartig: In der 32. Schwangerschaftswoche stellte der Frauenarzt bei Sa-bine Dude viel zu wenig Fruchtwasser fest. „Meine Tochter lag nahezu trocken“, erinnert sich die 35-Jährige. Noch größer war der Schock als man ihr sagte, dass ihr Kind vielleicht nicht überleben würde. Denn das Ultraschallbild zeigte, dass Finjas Nieren riesig groß waren und fast den gesamten Bauchraum ausfüllten. Eine Überweisung an die Kindernephrologen des KFH-Nierenzentrum am UKM (Universitätsklinikum Münster) erfolgte sofort: „Ich war überrascht, wie schnell das alles ging – schon drei Tage nach der schlimmen Diagnose hatten wir hier einen Termin“, erinnert sich Dude, die sich als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Münster am UKM gut aufgehoben fand. „Mein Mann und ich wussten zwar nicht, was auf uns zukommt, aber wir waren entschlossen, abzuwarten, ob Finja das Überleben aus eigener Kraft meistert.“
Die klinische Diagnose war für die Kinder-Nierenspezialisten klar ersichtlich: „Schon vor der Geburt konnte man anhand des typischen Ultraschallbildes sehen, dass es sich in Finjas Fall vermutlich um eine seltene autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD) handelt“, sagt der Leiter des Kindernierenzentrums, Prof. Martin Konrad. „In zwanzig Prozent der Fälle versterben diese Kinder vorgeburtlich, aber je länger sie im Mutterleib sind, und je mehr Fruchtwasser am Ende noch vorhanden ist, desto größer sind die Chancen auf Überleben“. Und der Kindernephrologe Dr. Jens König ergänzt: „Die Kinder haben schon im Mutterleib kaum noch Urinausscheidungen, weswegen das Fruchtwasser auch immer weniger wird. Dadurch bleiben die Lungen unreif und die Kinder leiden nach der Geburt oft unter Atemproblemen.“
Bei Finja, die drei Wochen nach der ernsten Diagnose zur Welt kam, waren die Lungen so weit gereift, dass sie nur wenige Tage Atemunterstützung benötigte. Nötig war allerdings nach den ersten Tagen eine Dialyse, denn ihre vergrößerten Nieren konnten den kleinen Körper nicht richtig entgiften. „Zum Glück war die Restfunktion der Nieren aber so weit erhalten, dass sie schon an Tag 15 keinerlei Nierenersatzverfahren mehr brauchte“, sagt König. Eine weitere große „Baustelle“ von Kindern mit Nierenerkrankungen – der hohe Blutdruck – war bei Finja medikamentös in den Griff zu bekommen. Insgesamt war Finjas Zustand viel stabiler als erwartet, erinnert sich ihre Mutter: „Obwohl wir befürchten mussten, dass sie vielleicht dialysepflichtig bleibt und dann erst einmal sehr lange in der Klinik hätte bleiben müssen, durften wir sie einen Tag nach dem eigentlich errechneten Geburtstermin mit nach Hause nehmen. Damit wäre sie wirklich ein ‚kleines Wunder‘, hat man uns bei der Entlassung gesagt.“
Prognostisch wird Finja nach Einschätzung ihrer Ärzte irgendwann einmal eine Nierentransplantation vielleicht in Kombination mit einer Lebertransplantation brauchen. Denn ARPKD bringt mit sich, dass auch die Leber betroffen ist.
Zunächst einmal muss Finja, die für ihr Alter sehr zart ist, aber deutlich kräftiger werden. Aktuell liegt sie noch unter der Gewichtsgrenze für Organtransplantationen. Kinder mit ihrer Diagnose gedeihen allgemein schlechter, denn die Nieren nehmen einfach zu viel Platz im Bauch ein. Verglichen mit der doch sehr schlechten Prognose vor ihrer Geburt, erscheint das aber ein Problem, das in den Griff zu bekommen sein sollte.
Info:
Das UKM ist Teil der bundesweiten Forschungs-Initiative NEOCYST, welche von Prof. Martin Konrad und Dr. Jens König geleitet und koordiniert wird. Die Abkürzung NEOCYST steht für „Network for Early Onset Cystic Kidney Diseases”. NEOCYST ist ein multidisziplinäres Netzwerk zur Erforschung zystischer Nierenerkrankungen des Kindesalters an bundesweit mehreren beteiligten Standorten. Es handelt sich um einen Verbund aus Klinikern, Genetikern und Wissenschaftlern, die ge-meinsam die Betreuung, die Therapie sowie die Lebensqualität von Patienten mit zystischen Nierenerkrankungen zu verbessern. Erbliche zystische Nierenerkrankungen repräsentieren eine der häufigsten Ursachen eines chronischen Nierenversagens im Kindesalter. Gleichzeitig zählen sie zur Gruppe der „Seltenen Erkrankungen“, so dass nur wenige hundert Patienten in Deutschland betroffen sind. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) für drei weitere Jahre finanziell gefördert.