Es ist eine der Nachrichten, die ein wenig mit 2020 aussöhnen: Sandra Gieses Leben ist gerettet und noch dazu ist es besser geworden in diesem Jahr. Erst im September hatten die Ärzte der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie am UKM (Universitätsklinikum Münster) sie auf die Warteliste für Organtransplantationen gesetzt. „Nach über vierzig Jahren mit Diabetes versagten Frau Gieses Nieren zunehmend den Dienst und sie drohte, dialysepflichtig zu werden“, so der stellvertretende Klinikdirektor, Prof. Jens Brockmann. „Weil unter einer Dialyse die eigene Gesundheit noch schneller als mit dem Diabetes allein geschädigt wird, setzten wir Frau Giese auf die Warteliste für eine Transplantation zweier Nieren in Kombination mit dem Pankreas. In der Regel warten die Empfänger ein bis zwei Jahre auf ein Angebot“, fügt er hinzu.“ Doch es ging schneller als gedacht. Wenige Wochen nach der Listung klingelte es abends bei Familie Giese in Beckum: Die Polizei gab Bescheid, dass es ein Organangebot für sie gab. „Ich war noch gar nicht wirklich vorbereitet, hatte meine Sachen nicht gepackt“, so Sandra Giese. Bei Ankunft im UKM dann die Nachricht, dass es sich um die Organe eines weit unter ein Jahr alten Kindes handelt - aus Gründen des Datenschutzes erfährt der Empfänger nichts über die näheren Umstände der Organspende.
Medizinisch gesehen sind ist es nicht selbstverständlich, dass die Organe eines Kleinkindes überhaupt transplantiert werden – die technischen Risiken werden landläufig als zu groß eingeschätzt. Während alle anderen Zentren die durch die Stiftung Eurotransplant angebotenen Nieren ablehnten, nahm das UKM das kombinierte Angebot aus Nieren und Pankreas an. Die Expertise, die kleinen Organe zu transplantieren ist im Team vorhanden und ein kombiniertes Organangebot für eine Patientin wie Sandra Giese ein absoluter Glücksfall. „Wir haben eine neue Operationstechnik angewendet, die weltweit nur von wenigen Chirurgen überhaupt durchgeführt wird“, sagt Brockmann. Bei dieser Technik bleiben die eigenen Organe im Körper und der Empfangende bekommt sozusagen diese Organe in zweiter Ausführung noch einmal hinzu. „Außerdem wurde das Pankreas „Huckepack“ auf den beiden winzigen Nieren des Spenders in den Körper der Empfängerin implantiert, was hinsichtlich der Funktionalität der Organe perspektivisch weitere Vorteile hat.“ Einer der Vorteile ist, dass die Organe sehr schnell im Körper des Empfängers weiterwachsen. Maßen die Nieren im konkreten Fall zum Zeitpunkt der Transplantation kaum vier Zentimeter, so sind sie jetzt im Ultraschall schon fast doppelt so groß. Auch scheint es so zu sein, dass juvenile Organe seltener abgestoßen werden. Dadurch dass es sich um „naive Zellen“ handelt, so Brockmann, sei die Akzeptanz dieser Organe durch das Immunsystem des Empfänger besser.
Sandra Giese ist durch die Transplantation der Bauspeicheldrüse nicht mehr insulinpflichtig: Das junge Spenderorgan verhilft ihr zu einem weitgehend einschränkungsfreien Leben.
Nicht ausblenden will Giese, die selbst Mutter ist, dabei, dass der Tod eines Kindes ihr selbst zu einem völlig neuen Leben verholfen hat. „Leid und Glück sind in der Transplantation untrennbar miteinander verknüpft“, sagt Klinikdirektor Univ.-Prof. Andreas Pascher. Und Brockmann, der die Transplantation mit seinem Team durchgeführt hat, ergänzt: „Es muss ein unvorstellbar schwerer Schritt für Eltern sein, die Organe des eigenen Kindes zur Transplantation freizugeben.“ Gleichzeitig beschreibt er es für Mütter und Väter auch als tröstend, zu wissen, dass sie mit diesem Einverständnis mehreren Menschen das Leben retten. „Das hilft, ein Stück weit bei der Verarbeitung.“