Lea Dreßler, Assistenzärztin in Facharztausbildung zur Kinder- und Jugendpsychiaterin, und der Psychologe Dr. Marius Janßen, ebenfalls aus der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, haben im Mai und Juni untersucht, inwieweit die im Zuge der Covid-19-Pandemie eingeführten Beschränkungen Familien psychisch belasten. An der Online-Befragung haben über 3200 Eltern mit Kindern im Alter bis zu elf Jahren teilgenommen. Im ersten Teil der Studie haben die Eltern anhand eines Fragenkatalogs Auskunft über ihre persönliche Situation gegeben. In einem zweiten Schritt wurden die Teilnehmer dazu aufgefordert, zunächst die Belastung vor der Zeit der Pandemie und später diese in der Zeit der Einschränkungen während des Lockdowns zu beschreiben.
Die jetzt vorliegenden Ergebnisse der Studie zeigen deutlich, dass die psychische Belastung innerhalb der Familie im Zuge der Einschränkungen extrem zugenommen hat. „Die psychische Belastung der Eltern hat sich mehr als verdoppelt“, berichtet Janßen. „Besonders waren die Eltern betroffen, deren Kinder schon vorher in hoher Stundenzahl (45 Stunden) in Kitas oder im offenen Ganztag der Schulen betreut wurden und die Betreuung komplett von den Eltern übernommen werden musste.“ Dabei folgte eine stärkere psychische Belastung einerseits zum Teil aus finanziellen Sorgen, z.B. wegen Kurzarbeit. Zum anderen spielten auch beengte Wohnverhältnisse eine Rolle: So berichteten über die Hälfte der Familien, die weder einen Garten noch einen Balkon nutzen konnten, über eine sehr starke bis extreme Belastung.
Deutlich gestresst hat Familien vor allem die Situation mit der Kinderbetreuung. „Viele Befragten haben beschrieben, dass es unglaublich viel Energie und Kraft gekostet hat, sich abzuwechseln – wer arbeitet heute und wer betreut die Kinder“, sagt Dreßler. „Viele Eltern haben in Nachtarbeit versucht, ihre Stunden im Homeoffice abzuleisten und sind im Nachhinein absolut an ihre Grenzen gekommen.“ Als Folge nahmen sich viele Eltern als weniger kompetent in der Erziehung wahr und gaben zudem Verschlechterungen in der Partnerbeziehung an. Insgesamt waren es zur Zeit der Einschränkung bereits knapp zwei Drittel (63 Prozent) der Eltern, die eine überdurchschnittliche familiäre Belastung berichteten.
Ebenfalls zeigte sich ein Zusammenhang, der immer wieder in klinischen Studien zu elterlichem Stress gefunden wird: Bei Eltern, die bereits vor Corona angaben, stärker belastet zu sein, verstärkte sich dieser Eindruck ihrer Situation durch den Lockdown. Nach Ansicht der Autoren sollten diese gefährdeten Familien mit Blick auf mögliche weitere Einschränkungen durch Corona besonders berücksichtigt werden, zum Beispiel, indem man ihnen bei Notbetreuungen den Vorzug gibt.
Dennoch haben die Autoren eine kleine Gruppe von Familien identifiziert, die von dem Lockdown profitieren konnten. „Es gibt Familien, die auch etwas Positives an der Situation entdecken, weil sie auf einmal viel Zeit füreinander finden“, so Dreßler. Elf Prozent der Befragten haben eine verminderte elterliche Belastung berichtet. Nach Auffassung der Autoren ist es grundsätzlich ein gutes Zeichen, dass eine Zunahme gemeinsamer familiärer Zeit auch positive Auswirkungen auf das Wohl der Kinder und der ganzen Familie haben kann.