Es gibt Momente, die kann man sich schöner nicht ausdenken: Schon im Aufzug hoch in den Westturm des UKM-Zentralklinikums treffen sich zwei Augenpaare. Ein zaghaftes „Simone?“ aus Michael Harrisons Richtung und das Eis ist gebrochen. Auch bei Simone Veltmann kommt sichtlich die Erinnerung an den Jungen von damals zurück: „Ich hatte gleich den Eindruck, dass müsste Michael sein und er erkannte mich ja auch sofort wieder“, erzählt Simone Veltmann, die damals auf der kinderchirurgischen Station gearbeitet hat. Dort lag Harrison zwischen seinem 11. und 17. Lebensjahr insgesamt viele Monate, weil er mehrfach an Bauch und Brustkorb operiert werden musste. Für ihn seien diese Erinnerungen deswegen auch mit vielen Schmerzen verbunden, so der 36-Jährige: „Wenn ich früher mit meiner Mutter von Osna-brück nach Münster reingefahren bin, habe ich schon eine Gänsehaut gekriegt, wenn ich nur von Weitem die Türme gesehen habe“, gibt er zu.
Auf der Station 14 B haben sich Pflegende und Ärzte, an die sich Harrison namentlich erinnert und die dort 1997 gearbeitet haben, versammelt. Mit dabei auch zwei weitere Frauen mit dem Vornamen „Simone“, allerdings ohne wirkliche Erinnerung an den jungen Michael. Immerhin: Die „richtige“ Simone ist ja schon identifiziert. Harrison, heute Manager und Coach, ist eigens aus Zürich angereist, um sich persönlich zu bedanken: „Weil ich auch nach dieser langen Zeit einfach sagen will, wie wichtig schon ganz kleine Gesten sind“, sagt er. „Für die Menschen hier ist das alltäglich, aber für diejenigen, die hier liegen, ist alles so beeindruckend und wiegt so schwer, dass sie unter Umständen ein Leben lang daran denken“, sagt er.
Dr. Volker Müller war damals AIP (Arzt im Praktikum) in der Kinderchirurgie – heute ist er Chefarzt der Abteilung. „Für mich ist es das erste Mal in über 20 Jahren als Arzt, dass jemand nach so langer Zeit Kontakt zu uns sucht“, sagt er. Das sei etwas Besonderes für ihn, denn nur in wenigen Fällen bekäme man überhaupt rückwirkend eine Resonanz. Auch Oberarzt Dr. Michael Mühlbauer hat keine detaillierte Erinnerung an Michael: „Es ist aber schön, wenn das beim Gegenüber anders ist, und zeigt, dass das, was wir hier machen, irgendwie hängen bleibt. Es ist ein schönes Beispiel dafür, dass wir immer empathisch sein müssen. Die Kinder sind bei uns als Patienten ja in einer besonderen Situation, sie sind verletzlich und lesen zwischen den Zeilen. Wir müssen auch als Chirurgen sehr auf ihr Seelenheil Acht geben.“
Über eine Stunde dauert die Begegnung zwischen dem Ex-Patienten und den Stationsmitarbeitern von damals. Am Ende ist Harrison berührt: „Das hat mir sehr viel bedeutet.“ Simone, Dr. Müller, Dr. Mühlbauer und all die anderen seien ja nur stellvertretend für viele in der Krankenversorgung, so wie er nur stellvertretend ein Patient von vielen sei. „Wir nehmen immer alles als gegeben hin“, sagt Harrison. „Aber das ist es aber de facto nicht. Diese Extrameile, die Pflegende und Ärzte jeden Tag für ihre Patienten gehen, ist für sie selbst normal – für uns als Patienten aber nicht. Und das ist bei mir auch noch 22 Jahre später hängen geblieben.“ Die rote Ferrari-Tasse wird ihn immer daran erinnern.