Das Leben von Ulrike Günther ist streng getaktet: Alle viereinhalb Stunden muss sie tagsüber eine Viertelstunde dialysieren. „Wenn ich trödele, dauert es 20 Minuten“, erzählt sie und lacht. Doch die Nottulnerin fühlt sich trotzdem weitestgehend frei, kann täglich arbeiten und zum Sport gehen – und muss nicht drei Mal pro Woche wie andere nierenkranke Patienten stundenlang in ein Dialysezentrum zur Blutwäsche. „Frau Günther nutzt die sogenannte Peritonealdialyse, die innerhalb des Körpers mit dem Bauchfell als Filter erfolgt und von der Patientin in Eigenregie durchgeführt werden kann“, erklärt Prof. Dr. Gert Gabriëls, Oberarzt der Medizinischen Klinik D am UKM (Universitätsklinikum Münster), der alle sechs Wochen die Blutwerte mit seiner Patientin bespricht.
Für die 60 Jahre alte Ulrike Günther ist diese Therapieform ein Segen, war sie vor dreieinhalb Jahren nach einem akuten Nierenversagen für einige Wochen auf die – den meisten bekannte – Hämodialyse angewiesen. Dabei filtert und reinigt ein Gerät das Blut außerhalb des Körpers, Dauer jeweils vier bis fünf Stunden, dreimal pro Woche. Anders als Patienten, die bereits länger nierenkrank sind und sich jahrelang auf eine mögliche Dialyse vorbereiten können, „bin ich von der Erkrankung überfallen worden“, erzählt die Erzieherin, während sie gerade ihr Dialysat wechselt. Sie empfindet diese Prozedur, die sie vier Mal täglich durchführt, als sehr unkompliziert. Mittels eines Katheters, der bei einem kleinen Eingriff in ihren Bauch eingebracht wurde, lässt sie zuerst die im Bauchraum befindliche Flüssigkeit vom Morgen abfließen. Dabei dokumentiert sie die Menge, um den vollständigen Austausch sicherzustellen, und achtet auf die Färbung. Ein klarer, leicht gelblicher Ton ist ideal, eine Trübung könnte auf eine Bauchfellentzündung hinweisen, die sofort behandelt werden müsste. Von solchen Komplikationen blieb Günther aber bisher verschont, strikte Hygiene hat für sie oberste Priorität. Anschließend lässt sie ca. 1200 Milliliter neue Dialyseflüssigkeit über den Katheter in ihren Bauch einfließen, die bis zum nächsten Wechsel im Körper verbleibt. Unangenehm findet sie das nicht. „Ich merke das gar nicht und habe auch nicht das Gefühl, einen vollen Bauch zu haben, wie ich das schon mal von anderen Patienten gehört habe.“ Lediglich bei einem ihrer Hobbys, dem Reiten, höre sie es manchmal etwas gluckern.
Während in anderen Ländern teils bis zu 50 Prozent der dialysepflichtigen Patienten diese Therapieform nutzen, sind es in Deutschland nur fünf Prozent. „Ein Skandal“, wie Gabriëls sagt. Denn die Peritonealdialyse, auch Bauchfelldialyse genannt, ist laut wissenschaftlichen Erkenntnissen schonender als die maschinell durchgeführte Hämodialyse, da Giftstoffe, Salze und Wasser kontinuierlich gefiltert werden und damit ein wesentlich besseres Gleichgewicht im Körper herrscht – ähnlich einem Menschen mit intakter Nierenfunktion. „Besonders älteren Menschen geht es deutlich besser, wenn ihnen nicht mehrmals wöchentlich eine große Menge Flüssigkeit entzogen wird und es zu Blutdruckschwankungen kommt“, erklärt der Spezialist. Die Gründe für die zurückhaltende Nutzung der Peritonealdialyse, die für Kinder wie Erwachsene geeignet ist, seien vielschichtig: Vor allem sei es mangelnde Aufklärung, aber auch die Vergütung spiele eine Rolle.
Etwa drei, in manchen Fällen auch bis zu acht Jahre kann das Bauchfell als Filter genutzt werden. Danach müssen die Patienten auf die Hämodialyse zurückgreifen, sollten sie noch kein neues Organ erhalten haben. Rund zehn Jahre beträgt aktuell die Wartezeit in Deutschland. Auf diesen Moment, „wenn der Anruf kommt“, wartet auch Ulrike Günther sehnsüchtig. Denn so gut sie derzeit auch mit der Heimdialyse leben kann: Wie schnell sich ein Zustand ändern kann, hat sie vor dreieinhalb Jahren bei ihrem akuten Nierenversagen erfahren. „Und mit einem neuen Organ erhoffe ich mir schon ein – noch – normaleres Leben als derzeit.“