Nach einer beispiellosen Hilfsaktion im Frühjahr, bei der 58 schwererkrankte niederländische COVID-19-Patienten in Krankenhäusern in Nordrhein-Westfalen behandelt wurden, werden an diesem Wochenende aufgrund der sich zuspitzenden Lage in den Niederlanden erneut Patienten in NRW aufgenommen. „Wir gehen davon aus, dass wir heute oder morgen erste Corona-infizierte Intensivpatienten übernehmen werden“, sagt Prof. Dr. Hugo Van Aken, Vorstandsvorsitzender und Ärztlicher Direktor des UKM (Universitätsklinikum Münster), das wie bereits im Frühjahr die Koordination der Nachbarschaftshilfe übernimmt. Ins UKM selbst, aber auch in andere Häuser werden in diesen Tagen erste niederländische Patienten verlegt.
Hintergrund der Übernahme sind die stark steigenden Zahlen an COVID-19 erkrankten Niederländern; in den vergangenen Tagen wurden täglich mehr als 7.000 Neuinfektionen gemeldet, mehr als 1.500 Patienten werden bereits stationär behandelt. „Unser Land ist fünfmal kleiner als Deutschland und hochgerechnet entsprechen unsere Zahlen täglich 35.000 Neuinfektionen in Deutschland“, erklärt Prof. Dr. Ernst Kuipers, Leiter des Netzwerkes Akute medizinische Versorgung (LNAZ). Allerdings verfügen die Niederländer lediglich über sieben Intensivbetten pro 100.000 Einwohner, in Deutschland sind es 34. Deshalb wurde im Nationalen Koordinierungszentrum für Patientenverteilung (LCPS) gestern entschieden, nicht zu warten, bis die niederländischen Kapazitäten an Krankenhausbetten vollständig erschöpft sind. „Wir denken vor allem an die Patienten: Ein Transport mit Krankenwagen, mobilen Intensivstationen oder mit dem Hubschrauber ist zum jetzigen Zeitpunkt deutlich weniger gefährlich, als wenn ein Patient bereits drei Wochen schwerkrank auf der Intensivstation gelegen hat“, so Kuipers.
Für die Koordination wurde am UKM gemeinsam mit dem Plattformanbieter OutSystems ein eigenes Webportal konzipiert, die Programmierung erfolgte als Hilfsprojekt kostenneutral. „Im Frühjahr haben wir die Koordination innerhalb von 24 Stunden auf die Beine gestellt und in der Akutphase mit Excel-Tabellen, per Telefon und Mail gearbeitet“, erklärt Dr. Vincent Hofbauer, Leiter des Internationalen Patientenmanagements. „Die in Sachen Corona etwas ruhigeren Sommermonate haben wir dafür genutzt, ein Webportal zu entwickeln, auf das alle beteiligten Häuser in Deutschland und den Niederlanden Zugriff haben und so in Echtzeit freie Betten angezeigt und mögliche Übernahmen von Patienten auf den Weg gebracht werden können.“ Die Niederländer können direkt das passende Haus auswählen und kontaktieren, die deutschen Kliniken können wiederum täglich ihre freien oder belegten Kapazitäten anpassen. „Digitalisierung spielt im Gesundheitswesen eine immer größere Rolle“, sagt Dr. Christoph Hoppenheit, Kaufmännischer Direktor des UKM. „Uns ist es wichtig, solche Tools zu nutzen, um Prozesse für alle Beteiligten zu vereinfachen. Und das geht auch über Ländergrenzen hinaus, wie dieses Beispiel hervorragend zeigt.“ Bereits 85 Häuser sind im System registriert, im Schnitt ein bis zwei Betten stellen die Krankenhäuser zur Verfügung. „Das ist auch so gewollt, denn natürlich sollen in jeder Region auch ausreichend Betten für die dort beheimateten Bürger vorgehalten werden“, erklärt Van Aken. Im Frühjahr beteiligten sich insgesamt 122 Kliniken an der Nachbarschaftshilfe, von einer ähnlichen Anzahl gehen die Verantwortlichen des UKM auch diesmal aus, das Portal füllt sich täglich. Angefragt wurden alle 400 Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen.
Bereits Ende September nahm die niederländische Regierung aufgrund der steigenden Infektionszahlen Kontakt zum Land NRW und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann auf, ob die deutschen Nachbarn im Falle hoher Zahlen von Intensivpatienten erneut unterstützen würden. Im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Düsseldorf entschied man sich, dafür auf die bewährte Zusammenarbeit zwischen dem UKM und LNAZ zurückzugreifen. Für die Koordination der Hilfe im Frühjahr hatte sich neben der niederländischen Regierung zuletzt auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beim UKM bedankt.
Die Vergütung der Krankenhausbehandlung wird weiterhin durch die niederländischen Kostenträger nach dem europäischen Sozialversicherungsabkommen sichergestellt (sogenanntes S2-Schein-Verfahren).