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Es ist der Fall, der niemals eintreten soll: Bombenexplosion im Zentrum einer beliebigen deutschen Großstadt – ein Terroranschlag. Die Folge: 120 Verletzte, davon 40 schwer. Die Teilnehmer des TDSC®-Kurses (Terror and Desaster Surgical Care) am UKM Trainingszentrum müssen schnell entscheiden: Wer ist wie schwer verletzt - wen müssen wir also zuerst versorgen? „Tatsächlich ist die Sichtung , also die Einteilung der Schwerverletzten nach Lebensbedrohlichkeit ihrer Verletzungen, eine große Herausforderung“, resümiert Dr. Helena Düsing, Assistenzärztin der Klinik für Unfall-, Hand und Wiederherstellungschirurgie am UKM (Universitätsklinikum Münster), die mit ihren Kollegen Prof. Sabine Ochman und Priv.-Doz. René Hartensuer am TDSC®-Kurs teilnimmt. „Die Terroranschläge in Paris haben gezeigt: Anders als beispielsweise bei einer Massenkarambolage kommen die Patienten nach einem Anschlag von selbst in die Klinik oder werden irgendwie gebracht, weil durch den Terror die eigentliche Rettungskette nicht mehr wie gewohnt funktioniert und die Lage am Anschlagsort unübersichtlich ist. Auch wir in der Klinik müssen dann die Lage komplett neu denken, weil die gewohnten Abläufe hier nicht mehr greifen“, sagt Düsing.
Damit das funktioniert, trainieren die Teilnehmer des Kurses in Simulationsübungen Strategien für den Ernstfall. Das Szenario-basierte Entscheidungstraining hat die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie e.V. (DGU) in Zusammenarbeit mit leitenden Medizinern des Sanitätsdienstes der Bundeswehr entwickelt. „Das Konzept ist ausdrücklich an künftigen Herausforderungen durch Terrorlagen ausgerichtet“, sagt Prof. Dr. med. Benedikt Friemert, Oberstarzt und Leiter der AG Einsatz-, Katastrophen- und taktische Chirurgie der DGU und Direktor der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie am Bundeswehrkrankenhaus Ulm, der die Teilnehmer während des zweieinhalbtägigen Kurses anleitet. „Terror-Verletzungen sind komplex. Verletzungen durch großkalibrige Gewehre und Bombenexplosionen erfordern sofortiges Handeln, weil die Gefahr des Verblutens groß ist. Das Training soll den teilnehmenden Ärztinnen und Ärzten helfen, die Lage richtig einzuschätzen und den Schaden zu begrenzen. Das unbekannte Ausmaß und die Dauer eines Anschlags sowie die unkalkulierbare weitere Gefährdungslage vor Ort verlangen eine besondere Taktik bei der Rettung der Verletzten. So müssen diese beispielsweise je nach Schweregrad ihrer Verletzungen für die Erstversorgung priorisiert werden. Diese Sichtung am Krankenhaus muss zudem noch unter akuten Mangelbedingungen erfolgen“, beschreibt Friemert.
Neben den theoretischen Unterrichtseinheiten zur strategischen Bewältigung der Terrorlage bildet eine Simulationsübung die Basis des Kurses, bei dem als Grundannahme jeder Verletzte ständig „Lebenspunkte“ verliert – und damit seine Chancen, zu überleben, schwinden. Das planerische Geschick und das taktische Vorgehen der teilnehmenden Ärzte entscheiden somit über das weitere Schicksal der fiktiven Patienten. Hinzu kommen Unwägbarkeiten wie etwa die Behinderung durch Medienvertreter und Reporter vor Ort. Das Spiel simuliert die initiale Versorgungsphase nach einem Anschlag unter den vorhandenen personellen und organisatorischen Strukturen der versorgenden Klinik. „Ziel ist es, die strategische Entscheidungsfindung für die Chirurgen unmittelbar erfahrbar zu machen und das Patientenaufkommen zu bewältigen. Dabei sind OPs, Personal und Materialien Mangelressourcen“, beschreibt Friemert. „Das Stressniveau ist außerordentlich hoch“, ergänzt Helena Düsing. „Ich habe mich vorab mit dem Thema beschäftigt und bin da sicher nicht naiv reingegangen. Mir war klar, dass die Verletzungsmuster durch Terror ganz andere sind als beispielsweise bei schweren Unfällen. Trotzdem merkt man schnell, dass es vor allem die Kleinigkeiten sind, die einem in der Situation zum Verhängnis werden könnten. Die Entscheidungen müssen innerhalb kürzester Zeit getroffen werden, Fehler wirken sich sofort aus.“
Dass das TDSC-Training am UKM Trainingszentrum durchgeführt wird, dafür hat unter anderem Univ.-Prof. Michael J. Raschke gesorgt. Der Direktor der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie am UKM erklärt: „Der anstehende Katholikentag in Münster hat uns im Vorfeld bewusst werden lassen, dass wir auch für das Undenkbare gewappnet sein müssen. Sicher bildet ein Planspiel nie die Realität ab. Trotzdem ist es sinnvoll, dass unsere Chirurgen das Szenario schon einmal durchdacht haben und wir hier in der Klinik daraus Konsequenzen für den hoffentlich nie eintretenden Ernstfall ableiten können. Das könnte eine wertvolle Erinnerungsstütze sein und dabei helfen, Menschenleben zu retten.“ Und Dr. Helena Düsing hat auch schon konkrete Ideen, was sie und ihre Kollegen aus dem Training mitnehmen: „Wir werden hier am UKM eine schnelle Sichtung von Fällen üben. Bei einem Massenanfall von Verletzten im Terrorfall haben sie im Zweifel nur eine Minute für die Sichtung eines Patienten , die über Leben und Tod entscheidet. Wir haben einen konkret anwendbaren Algorithmus zur Kategorisierung von Terroropfern an die Hand bekommen. Den sollte man einüben, um die besten Überlebenschancen zu sichern.“
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