Ein Baby schreit und schreit und schreit. Über Stunden. In der Verzweiflung wird es geschüttelt, nur wenige Sekunden. Aber die Folgen bleiben meist ein Leben lang. „Ein Schütteltrauma gehört zu den schlimmsten Schädelhirntraumata (SHT), die wir kennen. Viele Kinder sind danach schwerstbehindert“, sagt der Kinderneurologe Prof. Dr. Heymut Omran, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin – Allgemeine Pädiatrie am UKM (Universitätsklinikum Münster) und Koordinator des SHT-Registers, einem von der EU und dem Land NRW geförderten Projekt im Münsterland. Im Schnitt werden fünf Kinder pro Jahr am UKM mit Schütteltrauma behandelt, im vergangenen Jahr ist ein Säugling sogar an seinen Verletzungen verstorben.
Denn die Schäden durch Schütteln sind deutlich schwerer als bei Stürzen aus einer Fallhöhe von über einem Meter, wie aus den aktuellen Zahlen des klinischen Registers hervorgeht. „Wir unterscheiden in der Medizin bei einer Schädelhirnverletzung zwischen Schweregrad I, einer Gehirnerschütterung, und den Schweregraden II oder III. Bei allen Verletzungsmustern, seien es Stürze, Schläge oder Unfälle, sind deutlich mehr als die Hälfte der Patienten Kategorie I (67,8%), nur ein kleiner Teil verteilt sich auf II (23,8%) und III (8,4%)“, erklärt Maike Rödiger, die das SHT-Register gemeinsam mit Omran betreut. Absolute Ausnahme sei demnach das Schütteltrauma: „Hier gibt es keine bloße Gehirnerschütterung, alle Fälle sind ausnahmslos Schweregrad II (60%) oder III (40%)“, so die Kinderärztin. Die Folgen sind dramatisch: Sie reichen von Entwicklungsverzögerungen und -defiziten bis hin zu Schwerstbehinderungen. „Wir haben Fälle gesehen, bei denen viele lebenswichtige Regionen des Gehirns zerstört waren“, sagt Rödiger.
Dabei verfügt der Kopf grundsätzlich über einen sehr guten Schutzmechanismus. „Unser Gehirn schwimmt in Flüssigkeit und ist damit bis zu einem gewissen Grad vor Stürzen oder Stößen geschützt“, erklärt Heymut Omran. Beim Schütteln funktioniere diese Pufferfunktion durch das schnelle Hin- und Herbewegen jedoch nicht mehr und die vorhandenen, klitzekleinen Brückenvenen zwischen Gehirn und Schädeldecke zerreißen, Blutungen entstehen. Bei einem schweren SHT sind die Auswirkungen sofort sichtbar, das Kind ist schläfrig, fast komatös. In anderen Fällen dauert der Verlauf wenige Tage, manchmal sogar Wochen, bis die Sickerblutungen den Druck im Schädel so erhöht haben, dass das Kind lethargisch und ein Arzt aufgesucht wird.
Für Mediziner geben solch eine Wesensveränderung mit Schläfrigkeit und eine geschwollene Fontanelle Hinweise auf ein mögliches Schütteltrauma, zudem sind Netzhautblutungen in den Augen ein klares Anzeichen. Die Bildgebung gibt Aufschluss, wie ausgeprägt die subduralen Blutungen sind. Mittels Drainagen wird dann für Druckentlastung gesorgt, ein Prozess, der Tage oder Wochen dauern kann. Anschließend erfolgt je nach Ausprägung eine Rehabilitationsmaßnahme. Das Tragische: „Ein Teil der Schäden könnte verhindert werden, wenn frühzeitig ein Arzt aufgesucht werden würde“, so der Kinderneurologe.
Generell gilt: Jedes ruckartige Vor- und Zurückbewegen eines Säuglings ist verboten. „Suchen Sie mit einem Schreibaby Hilfe bei Ihrem Kinderarzt“, rät Heymut Omran. „Die Kollegen können auf ein großes Netzwerk an Beratungsstellen zurückgreifen. Und ganz wichtig: Sollte es zu einer Kurzschlussreaktion gekommen und ein Kind tatsächlich geschüttelt worden sein, fassen Sie sich ein Herz und suchen einen Arzt auf. Früh erkannt kann selbst erst bei kleinsten Einblutungen bereits eine Druckentlastung im Kopf erfolgen und schwere Folgen können verhindert werden.“