Hinweis für Pressevertreter

Bitte richten Sie zur Entlastung unserer Patientenversorgung sämtliche Anfragen zum SARS-CoV-2 (Corona) direkt an die UKM-Unternehmenskommunikation.

Bitte beachten Sie, dass Sie sich nur in Abstimmung mit der UKM-Unternehmenskommunikation auf dem UKM-Klinikgelände aufhalten und auch nur mit einer gültigen Drehgenehmigung auf dem UKM-Klinikgelände drehen dürfen.


Anja Wengenroth
Pressesprecherin
T +49 251 83-55800
M +49 170 5420566  
anja.wengenroth@ukmuenster.­de

 

Pressemeldungen Archiv 2018

Der Mut der Pioniere: 10 Jahre Kompetenzzentrum Chronischer Pruritus

Foto/UKM: Das interdisziplinäre Team des Kompetenzzentrums Chronischer Pruritus um Prof. Sonja Ständer (Reihe unten, 3.v.r.)


Das Kompetenzzentrum Chronischer Pruritus (KCP) am UKM (Universitätsklinikum Münster) wird zehn Jahre alt: 2008 wurde die damals schon fast sieben Jahre bestehende Juckreiz-Ambulanz in das erste interdisziplinäre Kompetenzzentrum Pruritus in Deutschland überführt. Weil sie Betroffenen keine Therapien bieten konnten, meldeten schnell auch  zahlreiche niedergelassene Ärzte Fortbildungsbedarf dazu an, sagt die Leiterin des KCP, Prof. Sonja Ständer. Daraus entstand das Münsteraner Pruritus-Symposium, das am 7. und 8. September zum 6. Mal stattfindet.

Frau Prof. Ständer: Eigentlich feiern Sie in diesem Jahr gleich zwei Mal zehnjähriges Jubiläum…
Richtig! Wir haben vor zehn Jahren das Kompetenzzentrum Chronischer Pruritus hier am UKM gegründet. Im gleichen Jahr haben wir zum ersten Mal auch das Pruritus-Symposium für niedergelassenes Haus- und Fachärzte ausgerichtet, das seitdem alle zwei Jahre stattfindet. Einfach, weil wir gesehen haben, dass es in dem Bereich unbedingt Weiterbildung braucht. Juckreiz – also Pruritus – ist auch heute noch nicht Teil des Curriculums der ärztlichen Ausbildung. Wenn überhaupt wird Pruritus als Kernsymptom verschiedener Erkrankungen am Rande mitbesprochen. Doch eine Neurodermitis kann abheilen – der Pruritus  bleibt manchmal weiter bestehen. Deshalb braucht man spezifische Therapien, um das Symptom Jucken zu behandeln. Das ist sozusagen die Mission des Pruritus-Symposiums: Möglichst viele Fachrichtungen ansprechen, um über Ursachen und moderne Behandlungsmöglichkeiten zu informieren.

Gab es vor zehn Jahren überhaupt Mediziner, die sich mit Pruritus beschäftigt haben?
Wir haben hier in Münster schon um das Jahr 1990 beobachtet, dass ein bestimmtes Medikament gegen Hörsturz extremes Juckempfinden bei den Patienten auslöste und das erforscht. Als wir darüber auf Kongressen berichtet haben, war das Interesse von allen Seiten groß, sodass wir den Bedarf für eine spezialisierte Ambulanz erkannt haben. Als 1997 dann Forscher aus Mannheim entdeckt haben, dass es in der Haut eigene Nervenfasern gibt, die nur Jucken leiten, war das der Durchbruch und Beginn des neuen Gebietes der Pruritusmedizin. Jucken konnte also unabhängig vom Schmerz als etwas ganz eigenes definiert werden. Damals war dieses Gebiet absolutes Neuland: Egal was man mit der Forschung untersucht hat, man hat immer was Aufregendes gefunden.

Hatten Sie nicht Sorge, dass sie den Patienten noch gar keine Therapien anbieten konnten?
Wir hatten den Mut der Pioniere – und wir hatten schon Ideen. Die Therapien  haben sich über die Jahre immer weiter differenziert und basierend auf den neuesten Forschungsergebnissen weiterentwickelt. Die Patienten waren damals extrem froh, dass sie endlich eine Anlaufstelle hatten und haben uns kleine Geschenke mitgebracht, weil sie einfach so dankbar waren: selbstgemachte Kerzen und Bilder, gehäkelte Decken, alles Mögliche. Einfach auch deshalb, weil sie sich zum ersten Mal ernstgenommen gefühlt haben. Vieles dieser Pionierarbeit ist heute  schon in den erstversorgenden Praxen in die Routine übergegangen. Aber das war schon eine tolle Zeit, denn wir konnten vielen Menschen helfen.

Wie viele Pruritus-Ambulanzen nach ihrem Vorbild gibt es inzwischen?
Es gibt leider immer noch nur eine Hand voll in Deutschland – angefangen in Heidelberg, das war das zweite Zentrum. Dann Berlin, Hamburg – also jeweils  in den größeren Universitäten. Global war Deutschland das erste Land, was entsprechende Ambulanzen eingerichtet hat. Mittlerweile ziehen die USA nach und errichten jetzt sogenannte „Itch Center“ nach unserem Modell. Die Kollegen kommen rüber und lernen, wie wir das machen. Wir haben am UKM das große Glück, dass wir hier zusammen mit dem Institut für Medizinische Informatik eine komplett digitale Versorgung einrichten konnten. Selbst die Patienten beantworten alle Fragebögen auf Tablets und alle Daten werden in einer großen Datenbank dokumentiert.

Welche neuen Entwicklungen gibt es auf dem Gebiet der Pruritus-Medizin?
Pruritus benötigt als Symptom eigene und zugelassene Therapien – die müssen zunächst erstmal zur Verfügung stehen. Es sind jedoch viele neuartige Substanzen derzeit in Entwicklung. Das gab es vor zehn Jahren noch gar nicht. Es ist im Bereich der Forschung derzeit sehr spannend.

Können Sie da Beispiele nennen?
Münster ist an vielem intensiv beteiligt. Um ein Beispiel zu nennen: Da wäre die Neuroinflammation mit der Erkenntnis, dass, wenn man die Ausschüttung der Neuropeptide in der Haut hemmt, man sowohl die Entzündung als auch das Jucken unterdrücken kann. Wir setzen dagegen zum Beispiel ein Medikament ein, das letztlich gegen Übelkeit auf den Markt gebracht wurde. Eigentlich sollte es gegen Schmerzen sein, war aber dort nicht wirksam. Wir haben die Entwicklung beobachtet und setzen es seit langem bei starkem Pruritus ein und sehen sehr gute Effekte. Wir haben alles dokumentiert, veröffentlicht und nun entwickelt gerade eine Pharmaunternehmen basierend aus unseren Erfahrungen ein Präparat gegen starken Pruritus: Das ist eine translationale Erfolgsgeschichte, die ihre Keimzelle in Münster hat.

Gibt es Hoffnung, dass man das Symptom irgendwann völlig in den Griff bekommt?
Leider haben wir noch keine neuen zugelassenen Therapien in der Hand und so bleibt das Behandlungsergebnis bei bis zu einem Drittel der Patienten ungenügend. Aber selbst wenn wir über spezifische Medikamente verfügen würden,  gäbe es vermutlich immer Betroffene, bei denen man das Symptom nicht beherrschen kann und man interdisziplinär vorgehen muss. Wir werden noch mehr psychosomatische Interventionsprogramme entwickeln müssen. Es sind auch immer noch Fragen offen zu begleitenden Therapien: Was kann eine Schlaf-Optimierung zur Pruritus-Linderung beitragen? Was kann eine Physiotherapie leisten? – also ein multimodaler Ansatz. Außerdem müssen wir besser vorbeugen: Wenn der Haus- oder Hautarzt Patienten ab 65 Jahren frühzeitig an die tägliche Rückfettung der Haut, also das Eincremen, erinnert, ist schon viel getan.

ukm/aw
Zurück
 
 
 
 

Folgen Sie uns bei Twitter

Alles rund um die Universitätsmedizin Münster finden Sie unter  twitter.com/UK_Muenster.