Wie viele Pruritus-Ambulanzen nach ihrem Vorbild gibt es inzwischen?
Es gibt leider immer noch nur eine Hand voll in Deutschland – angefangen in Heidelberg, das war das zweite Zentrum. Dann Berlin, Hamburg – also jeweils in den größeren Universitäten. Global war Deutschland das erste Land, was entsprechende Ambulanzen eingerichtet hat. Mittlerweile ziehen die USA nach und errichten jetzt sogenannte „Itch Center“ nach unserem Modell. Die Kollegen kommen rüber und lernen, wie wir das machen. Wir haben am UKM das große Glück, dass wir hier zusammen mit dem Institut für Medizinische Informatik eine komplett digitale Versorgung einrichten konnten. Selbst die Patienten beantworten alle Fragebögen auf Tablets und alle Daten werden in einer großen Datenbank dokumentiert.
Welche neuen Entwicklungen gibt es auf dem Gebiet der Pruritus-Medizin?
Pruritus benötigt als Symptom eigene und zugelassene Therapien – die müssen zunächst erstmal zur Verfügung stehen. Es sind jedoch viele neuartige Substanzen derzeit in Entwicklung. Das gab es vor zehn Jahren noch gar nicht. Es ist im Bereich der Forschung derzeit sehr spannend.
Können Sie da Beispiele nennen?
Münster ist an vielem intensiv beteiligt. Um ein Beispiel zu nennen: Da wäre die Neuroinflammation mit der Erkenntnis, dass, wenn man die Ausschüttung der Neuropeptide in der Haut hemmt, man sowohl die Entzündung als auch das Jucken unterdrücken kann. Wir setzen dagegen zum Beispiel ein Medikament ein, das letztlich gegen Übelkeit auf den Markt gebracht wurde. Eigentlich sollte es gegen Schmerzen sein, war aber dort nicht wirksam. Wir haben die Entwicklung beobachtet und setzen es seit langem bei starkem Pruritus ein und sehen sehr gute Effekte. Wir haben alles dokumentiert, veröffentlicht und nun entwickelt gerade eine Pharmaunternehmen basierend aus unseren Erfahrungen ein Präparat gegen starken Pruritus: Das ist eine translationale Erfolgsgeschichte, die ihre Keimzelle in Münster hat.
Gibt es Hoffnung, dass man das Symptom irgendwann völlig in den Griff bekommt?
Leider haben wir noch keine neuen zugelassenen Therapien in der Hand und so bleibt das Behandlungsergebnis bei bis zu einem Drittel der Patienten ungenügend. Aber selbst wenn wir über spezifische Medikamente verfügen würden, gäbe es vermutlich immer Betroffene, bei denen man das Symptom nicht beherrschen kann und man interdisziplinär vorgehen muss. Wir werden noch mehr psychosomatische Interventionsprogramme entwickeln müssen. Es sind auch immer noch Fragen offen zu begleitenden Therapien: Was kann eine Schlaf-Optimierung zur Pruritus-Linderung beitragen? Was kann eine Physiotherapie leisten? – also ein multimodaler Ansatz. Außerdem müssen wir besser vorbeugen: Wenn der Haus- oder Hautarzt Patienten ab 65 Jahren frühzeitig an die tägliche Rückfettung der Haut, also das Eincremen, erinnert, ist schon viel getan.