Symposium zum Meinungsaustausch zwischen Entscheidungsträgern der Politik, der Universitätsmedizin und der ärztlichen Selbstverwaltung / Wunsch nach mehr Dialog zur ländlichen ärztlichen Versorgung
Die zukünftigen Herausforderungen und Perspektiven der ländlichen ärztlichen Versorgung waren gestern Abend (9. Oktober 2017) Thema eines Symposiums im Lehrgebäude der Medizinischen Fakultät Münster, zu dem auch der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes, Karl-Josef Laumann, sowie hochrangige Vertreter der Ärztekammer Westfalen-Lippe und der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung geladen waren. „Es ist uns ein Anliegen, mit der Politik und der ärztlichen Standesvertretung in einen offenen Dialog zu treten“, so der Ärztliche Direktor und Vorstandsvorsitzende des UKM (Universitätsklinikum Münster), Prof. Robert Nitsch. „Neuen Initiativen zur künftigen Sicherung der medizinischen Versorgung stehen wir offen gegenüber und fördern diese durch moderne Konzepte.“
Weiterhin unterstrich Nitsch, dass die Universitätsmedizin einerseits Spitzen-forschung betreiben wolle. Andererseits stehe man in der Verantwortung, eine hochwertige Krankenversorgung in der Region bereitzustellen. Um das zu vereinen, seien zahlreiche Maßnahmen notwendig, insbesondere die enge Ko-operation mit Niedergelassenen sowie die gute Zusammenarbeit mit kleineren Krankenhäusern auf dem Land. Forschung und Lehre der Universitätsmedizin müssten auch hier ankommen, so Nitsch: „Auch unsere Patienten auf dem Land müssen wissen, dass sie jederzeit guten und unkomplizierten Zugang zur Spitzenmedizin haben. In unseren Kooperationen mit peripheren Häusern etablieren wir solche Strukturen einvernehmlich vor Ort. Ganz beispielhaft läuft das gerade in Steinfurt in dem von uns übernommenen Marienhospital UKM MHS.“
Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann unterstrich in seinem Vortrag, dass er es als dringliches Ziel seiner Amtszeit ansehe, dass alle Medizinischen Fakultäten im Land einen Lehrstuhl für Allgemeinmedizin einrichten. Diese Disziplin sei das Kernfach des Medizinstudiums. „Die Allgemeinmedizin ist das Rückgrat unserer medizinischen Versorgung. Sie muss endlich überall den zentralen Stellenwert erhalten, den es für eine gute und flächendeckende Versorgung benötigt. In Nordrhein-Westfalen werden pro Jahr etwa 2.000 neue Ärztinnen und Ärzte ausgebildet. Davon werden aber nur rund zehn Prozent Allgemeinmediziner. Das zeigt: Die medizinischen Fakultäten haben ihre Verantwortung in der Vergangenheit leider nicht ausreichend wahrgenommen. Doch jetzt gilt es den Blick in die Zukunft zu richten und die Herausforderung gemeinsam anzupacken. Wir brauchen künftig an jeder medizinischen Fakultät eine W 3-Professur für Allgemeinmedizin. Zudem werden wir in Ostwestfalen eine ganz neue medizinische Fakultät aufbauen. Und wir wollen die sogenannte Landarztquote einführen. Das heißt: Bis zu zehn Prozent aller Medizinstudienplätze sollen in Zukunft an geeignete Bewerberinnen und Bewerber vergeben werden, die sich für bis zu zehn Jahre zur Arbeit als Hausärztin oder Hausarzt in unterversorgten und von Unterversorgung bedrohten Regionen verpflichten“, sagte Laumann.
Der Dekan der Medizinischen Fakultät, Prof. Mathias Herrmann, hob in seinem Vortrag die Bedeutung der Allgemeinmedizin auch für Wissenschaft und Lehre hervor: „Die Allgemeinmedizin ist keine universitäre Disziplin zweiten Ranges, sondern ein akademisches Fach mit breitem Profil. Vor allem ist sie ein hoch spannendes Tätigkeitsfeld für den Nachwuchs. Das vermitteln wir unseren Studierenden nicht nur über die üblichen Lehrinhalte, sondern mit innovativen Konzepten wie der neuen ‚CampusPraxis‘“, sagte Herrmann und spielte damit auf die im Frühjahr eröffnete Gemeinschaft niedergelassener Allgemeinärzte in Münster-Gievenbeck an, die den Studierenden einen praxisbezogenen Patientenkontakt ermögliche. Neben dem schon jetzt zur Stärkung der Fachdisziplin eingerichteten „Centrum für Allgemeinmedizin“ unter Leitung von Prof. Peter Maisel kooperiere die Medizinische Fakultät unter anderem mit 136 allgemeinmedizinischen Lehrpraxen, betont Herrmann: „Das Netz reicht von Lingen bis Menden und von Bielefeld nach Bocholt. Wir sind also breit in der Fläche vertreten.“
Im anschließenden Podiumsgespräch diskutierten die Teilnehmer verschiedene innovative Maßnahmen, wie vor allem für die alternde Landbevölkerung in Zukunft eine optimale wohnortnahe und flächendeckende Primärversorgung sichergestellt werden könne. Es herrschte Konsens darüber, dass achtzig bis neunzig Prozent der ersten Arzt-Patienten-Kontakte in Deutschland über den niedergelassenen Hausarzt liefen. Die Attraktivität und Perspektive dieser Schlüsseldisziplin gelte es also nicht nur zu erhalten, sondern auch für Studierende und Ärzte zu steigern, damit sie sich bevorzugt in ländlichen Regionen niederlassen.
Stimmen
Dr. Gerhard Nordmann, 2. Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe
„Die Zahl der Hausärzte in Westfalen-Lippe ist seit 2013 rückläufig. Immer wieder müssen Kollegen ohne Nachfolger in den Ruhestand gehen. Die Zahl der neu weitergebildeten Ärzte für Allgemeinmedizin reicht einfach nicht aus, um die Ausscheidenden zu ersetzen. Deshalb freue ich mich umso mehr über das erwachende Engagement der Universitäten. Gerade in der Zusammenarbeit mit der Medizinischen Fakultät und der Uniklinik Münster sind wir auf einem positiven Weg. Wir haben zwar ein bisschen gebraucht – fast fünf Jahre – aber dann haben wir auf unsere Initiative hin eine vorbildliche Campus-Praxis hier in Münster einrichten können. Ziel ist es, die nachrückende Ärztegeneration früh für eine Niederlassung als Hausarzt zu motivieren. Dies geschieht auch bei diversen Informationsveranstaltungen in und an der Uni in Münster.“
Dr. Klaus Reinhardt, Vizepräsident der Ärztekammer-Westfalen-Lippe
„Die Zahl der Facharztprüfungen zum Allgemeinmediziner ist im vergangenen Jahr erfreulicherweise erneut gestiegen. Sie hat aber noch nicht den Umfang erreicht, der notwendig wäre, um die Zahl der sich zur Ruhe setzenden Ärztinnen und Ärzte zu kompensieren. Die Fachärzte für Allgemeinmedizin sowie die weiteren „Generalisten“ unter den Fachärzten, besonders Allgemeininternisten und Allgemeinchirurgen, leisten einen wichtigen Beitrag, weiterhin eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung auch abseits der Ballungsräume in Kliniken und Praxen zu gewährleisten. In einem komplexen Gesundheitssystem sind sie im Regelfall erster Ansprechpartner für Patientinnen und Patienten und betreuen diese in vielen Fällen über lange Abschnitte ihres Lebens. Die gemeinsamen Anstrengungen von Ärztekammer, Politik und den Akteuren in der Aus- und Weiterbildung, Anreize zu schaffen und den medizinischen Nachwuchs für diesen Bereich der ärztlichen Arbeit zu motivieren, zeigen ersten moderaten Erfolg. Entwarnung in Sachen Ärztemangel können wir aber trotzdem noch nicht geben. Wir sind weiterhin gefordert.“