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Warum ich? Diese Frage hat sich Nicholas Perreth nie gestellt. Weder als 19-Jähriger, als ein bösartiger Tumor an der rechten Beckenschaufel diagnostiziert wurde, noch mit 30, als ihm das Bein vollständig amputiert wurde. „Für mich waren das Herausforderungen, an denen man wachsen und sich weiterentwickeln konnte“, sagt der heute 31-Jährige und schiebt ohne zu zögern einen bemerkenswerten Satz nach: „Wenn mir heute jemand meine vollständige Gesundheit anbieten würde, würde ich nicht tauschen wollen.“Der Detmolder ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Kämpfer. Die Kampfkunst WingTsun ist sein größtes Hobby, bis zu zwei Mal täglich trainiert er bei seinem Meister. Perreth ist gut trainiert, verfügt über eine enorme Körperbeherrschung – und eine hochmoderne Beinprothese. Sie ersetzt bei ihm gleich drei Gelenke: Hüft-, Knie- und Fußgelenk. Ein Korb, der um die Hüfte geschnallt wird, hält die Beinprothese am Körper. „Im Gegensatz zu Patienten mit Teilamputationen ist bei Nicholas kein Beinstumpf vorhanden, sodass im Grunde jegliche Führung des Beins fehlt“, erklärt Orthopädietechnikermeister Vojtech Jakab von der UKM ProTec. Anders als Systeme, die nur Pendelbewegungen nach vorne und hinten zulassen, hat die Hightech-Prothese eine Hydraulik im Hüftgelenk. „Damit kann Nicholas der normalen Gehbewegung sehr nahe kommen, kann Treppen im Wechselschritt steigen und auch intensiv Sport treiben“, so Jakab. Acht bis zehn Prothesen dieser Art werden pro Jahr in den Orthopädischen Werkstätten am UKM (Universitätsklinikum Münster) gefertigt.
Für Nicholas Perreth beginnt mit der Prothese ein neuer Lebensabschnitt. „Ich erlebe momentan ein sehr großes Gefühl von Freiheit. Wenn ich durch den Supermarkt gehe und beide Hände voll habe, denke ich, wie abgefahren ist das denn!“ Insgesamt elf Jahre war er bis auf kurze Phasen auf eine Gehhilfe oder einen Rollstuhl angewiesen; nach der erfolgreichen Entfernung des Tumors hatte er immer wieder mit Abwehrreaktionen des Körpers auf die eingesetzten Hüftgelenke zu kämpfen. Es folgten Operationen und Krankenhausaufenthalte, während seine Freunde eine Ausbildung machten und studierten. Für ihn schien eine längerfristige Zukunftsplanung unmöglich. Im vergangenen Jahr ließ er dann das Bein abnehmen.
Tauschen möchte Perreth wie gesagt nicht. All diese intensiven Erlebnisse haben ihm gezeigt, was wirklich wichtig ist im Leben. „Man darf sein Ziel nicht aus den Augen verlieren. Es wird zwar nicht so funktionieren, wie gedacht, aber weitergehen wird es immer.“ Wie das für den 31-Jährigen konkret aussieht, zeigt seine Planung für 2016: Dann beginnt er nicht nur eine dreijährige Ausbildung zum Sport- und Fitnesskaufmann, sondern nimmt in seiner Freizeit auch an einem zweijährigen Lehrgang zum WingTsun-Trainer teil.