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Nach einem Unfall zählt jede Minute: Die bestmögliche Versorgung von Unfallopfern ist daher das Ziel des länderübergreifenden Traumanetzwerks NordWest. Hierzu haben sich Kliniken aus Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und eine Klinik aus den Niederlanden zusammengeschlossen. Jetzt haben die 25 Kliniken des Traumanetzwerks NordWest zum ersten Mal den aufwändigen Zertifizierungsprozess der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) erfolgreich abgeschlossen. Dabei wurden die Strukturen in den einzelnen Kliniken und im gesamten Netzwerk grundlegend von unabhängigen Gutachtern überprüft. Das Traumanetzwerk NordWest zählt zu den größten seiner Art in Deutschland. Im Netzwerkgebiet wurden im Jahr 2010 rund 1.000 lebensbedrohlich verletzte Unfallopfer versorgt.
Bei der Übergabe der Urkunden am 7. September in Münster betonte NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens: „Die effiziente und schnelle medizinische Versorgung schwer verletzter Patientinnen und Patienten ist eines der vorrangigsten Ziele der modernen Medizin. Gerade in diesem Bereich ist die enge Kooperation von Kliniken, Rettungsdiensten und Leitstellen enorm wichtig. NRW als großes Flächenland hat ein sehr leistungsfähiges Rettungssystem. Die Gründung und die Qualitätskontrolle von Traumanetzwerken baut die hohe Versorgungsqualität in NRW und den benachbarten Regionen weiter aus. Jede Minute, die beim Transport von der Unfallstelle in eine Klinik durch eine noch bessere Zusammenarbeit eingespart wird, hilft allen Beteiligten, das Leben der Patientinnen und Patienten retten zu können.“ Die Zertifizierung des Traumanetzwerks NordWest belege erneut die hohe Versorgungsqualität, so die Ministerin.
Denn genau das ist das gemeinsame Ziel der Partner im Netzwerk: Die Zusammenarbeit bei der Versorgung schwer verletzter Unfallopfer permanent weiter zu verbessern. So sollen etwa Unfallopfer innerhalb von 30 Minuten in eine aufnahmebereite Klinik zur weiteren medizinischen Versorgung gebracht werden. Auch die Verlegung von Unfallopfern in Krankenhäuser zur Weiterbehandlung soll weiter optimiert werden.
Koordination durch die UKM-Unfallchirurgie
Die Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie des Universitätsklinikums Münster (UKM) koordiniert das Traumanetzwerk in enger Abstimmung mit den weiteren Netzwerkpartnern. Prof. Dr. Michael J. Raschke, Direktor der Klinik am UKM und einer der Initiatoren des 2008 offiziell gegründeten Netzwerks, betont: „Besonders in ländlichen Regionen sind Traumanetzwerke erforderlich, um die vorhandenen Ressourcen und die Kompetenzen optimal zu nutzen und gleichzeitig die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung zu verbessern, und zwar unabhängig von Ländergrenzen. Denn was zählt, ist der schnelle Transport des Unfallopfers in eine Klinik, die den Patienten direkt versorgen kann.“
Zu den Mitgliedern des Netzwerkes zählen Krankenhäuser der Basisversorgung, die als „Lokale Traumazentren“ gelten, Kliniken der Schwerpunktversorgung, die als „Regionales Traumazentrum“ gelten und so genannte „Überregionale Traumazentren“ (Kliniken der Maximalversorgung). Bei einer Katastrophe, wie einer Massenkarambolage, ist eine passgenaue Zuordnung der Unfallopfer auf die entsprechenden Kliniken möglich und nötig, um eine adäquate Versorgung abzusichern. Dabei werden Leichtverletzte in lokale Traumazentren mit geringerer Versorgungstiefe und Schwerstverletzte in regionale bzw. überregionale Traumazentren mit der Möglichkeit zur Versorgung spezieller Verletzungsmuster, z.B. Wirbelsäulen- und Beckenverletzungen, verteilt. Die besonderen Umstände an der Unfallstelle machen vor allem die Einbindung der lokalen Traumazentren zwingend erforderlich.
„Das bestehende Netz der Zusammenarbeit wird durch diese Kooperationsform noch enger geknüpft“, so Prof. Dr. Johannes Sturm von der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie. Da in Deutschland jährlich von 38.000 Schwerstverletzten leider 6000 zumeist junge Menschen (das sind rechnerisch 16 Patienten pro Tag) versterben, startete die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie eine bundesweite Initiative zur weiteren Steigerung der Versorgungsqualität von Verletzten. Sturm: „Mit der vertraglich fixierten, engen Zusammenarbeit von Kliniken unterschiedlicher Versorgungsstufen in Traumanetzen ist ein einzigartiges Projekt Wirklichkeit geworden. Es geht um Zusammenarbeit, Konkurrenzsituationen zum Nachteil von Patienten werden im Netzwerk überwunden. Diese Netzwerkstruktur umfasst die gesamte Behandlungskette der schwerstverletzten Patienten von der Unfallstelle bis zur Wiedereingliederung in das berufliche und private Leben. Die Zertifizierung von Traumanetzwerken stellt einen großen Schritt in der Qualitätssteigerung der Versorgung dar.“ Aktuell gibt es bundesweit 55 Traumanetzwerke mit über 850 beteiligten Kliniken.
Ein sicheres 24-Stunden-Kommunikationsnetzwerk erleichtert im Traumanetzwerk NordWest die Zusammenarbeit der Kliniken und der Rettungsdienste sowie der Kliniken untereinander. Dahinter steht u.a. eine permanent aktualisierte Datenbank, in der alle für die schnelle Patientenversorgung nötigen Informationen hinterlegt sind. Auch der schnelle Austausch von Befunden kann über diese Datenbank geschehen, etwa wenn ein Patient nach der ersten Phase der medizinischen Versorgung in ein anderes Krankenhaus verlegt werden muss. Diese Kommunikationsplattform wurde mit Mitteln des Landes NRW gefördert und wird nach einer erfolgreichen lokalen Testphase nun schrittweise auf das gesamte Gebiet des Traumanetzwerks NordWest ausgeweitet. Somit kann auch in ländlichen Regionen „rund um die Uhr“ auf diese Informationen zurückgegriffen werden. Bereits während der Testphase wurden über 17.000 Bilder online übertragen, selbstverständlich unter strenger Berücksichtigung des Datenschutzes.
Begleitend zu den Aktivitäten des Traumanetzwerkes werden alle Fälle anonym im bundesweiten Traumaregister erfasst. Auch trotz optimaler Versorgung überleben allerdings nicht alle Patienten einen schweren Unfall. Im Traumanetzwerk NordWest überlebten im Jahr 2010 90,6 Prozent aller Patienten, die in einem der Krankenhäuser behandelt wurden, den Unfall. Dieser Wert lag dabei sogar leicht über dem bundesweiten Wert von 87,7 Prozent.
Reha-Einrichtungen verstärken Netzwerk
Auch zukünftig wächst das Netzwerk weiter: In einem Pilotprojekt werden in diesem Jahr auch Rehabilitations-Einrichtungen an das Netz angeschlossen. Prof. Raschke: „Bislang beschränkte sich dieser Aspekt auf die direkten Reha-Maßnahmen in den Kliniken. Wir wollen den Patienten in unserem Netz aber vom Unfallort bis zur Entlassung aus der Klinik auffangen. Darum brauchen wir auch qualifizierte Partner in der Rehabilitation im Netzwerk. Erstmals werden nun Reha-Einrichtungen als assoziierte Mitglieder in unser Traumanetz mit aufgenommen. Die Knoten des Netzes werden dicker und dichter, weniger fallen durch das Netz hindurch.“ Für diese Einrichtungen gilt übrigens das gleiche Anforderungsprofil wie für die beteiligten Kliniken: Auch sie müssen bestimmte Kriterien der Struktur- und Prozessqualität verbindlich erfüllen.
Stichwort „Traumanetzwerk NordWest“
- gegründet 2008
- aktuell 25 teilnehmende und zertifizierte Kliniken: 19 aus NRW, fünf aus Niedersachsen, eine Klinik (Enschede) aus den Niederlanden, zudem weitere assoziierte Mitglieder
Alles rund um die Universitätsmedizin Münster finden Sie unter twitter.com/UK_Muenster.