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Jede dritte Frau über 50 Jahren leidet unter Harninkontinenz und auch viele junge Frauen sind – insbesondere nach Geburten – von ungewolltem Urinverlust und ständigem Druckgefühl betroffen. Die Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe bietet diesen Patientinnen ein individuelles therapeutisches Gesamtkonzept nach neuesten Standards: Im Jahr 2007 wurde die UKM-Frauenklinik von der Deutschen Kontinenzgesellschaft als Kontinenz- und Beckenbodenzentrum zertifiziert und in diesem Jahr rezertifiziert. Damit geht die Verpflichtung einher, in interdisziplinärer Zusammenarbeit an der Klinik noch stärker als bisher neueste Therapieverfahren wissenschaftlich zu evaluieren und für den klinischen Einsatz umzusetzen. Dies geschieht mit einer nicht- invasiven Diagnostik (z. B. Ultraschall der neuesten Generation). Seit Februar 2010 kommen in der UKM-Frauenklinik Operationsmethoden zum Einsatz, die es den Medizinern unter Anwendung sehr feiner Kunststoffnetze und Bänder erlauben, anatomische Strukturen des Beckenbodens gezielt zu ersetzen. „So erreichen wir eine punktuelle Stabilisierung einzelner Elemente in dem komplizierten Gesamtgefüge des Beckenbodens, die in erster Linie auf die Symptome der Patientin abzielt“, betont Dr. Olaf Baumann, Leiter des Beckenbodenzentrums am UKM.
Das wachsende Verständnis für diese funktionellen Aspekte der gestörten Anatomie versetzt die Ärzte heute wesentlich besser in die Lage, die Symptome wie Blasenentleerungsstörungen, Harn- und Stuhldrang- Probleme sowie verschiedene Schmerzsymptome, erstmals überhaupt als Ausdruck eines defekten Beckenbodens wahrzunehmen. Folglich können diese gezielt operativ behandelt werden.
Der differenzierte, auf die einzelne Patientin zugeschnittene Ansatz schließt den Einsatz geeigneter herkömmlicher Operationsverfahren keineswegs aus. Diese stehen aber jetzt in einem ganz anderen therapeutischen Gesamtkonzept. „Uns steht eine Reihe an wirksamen Therapiemöglichkeiten zur Verfügung. Dank moderner Operationsmethoden können wir die Patientinnen heute gezielt und individuell behandeln“ erläutert Klinikdirektor Prof. Dr. Ludwig Kiesel. Und was besonders wichtig für viele Frauen ist: „In der Regel muss bei diesem Konzept die Gebärmutter nicht entfernt werden. Für die Patientinnen bedeutet das deutlich weniger Schmerzen nach der OP und eine entsprechend schnellere Genesung sowie eine minimale Narbenbildung“, erklärt Dr. Baumann die Vorteile der neuen Therapiemöglichkeit am UKM. Diese Eingriffe sind zudem durchwegs minimal-invasiv, da sie meist von der Scheide aus oder mittels einer Bauchspiegelung durchgeführt werden. Dabei arbeiten die Gynäkologen der Frauenklinik eng mit den Urologen, Chirurgen und Internisten am UKM zusammen. Diese interdisziplinäre Kooperation gewährleistet für die Patientinnen eine hoch qualifizierte Diagnostik und Therapie.
Die von der UKM-Frauenklinik verwendeten Kunststoffnetze gehören zur neuesten Generation des Ersatzgewebes und sind erst seit knapp einem Jahr verfügbar. Sie sind mit winzigen Gewebeankern im Beckenboden fixiert, die die bisherige Fixierung mittels langer Zügel und großer Nadeln ersetzen. Das führt zu einer weiteren Reduzierung der postoperativen Schmerzen und Verkürzung der Operationszeit.
Neben der Krankenversorgung ist die wissenschaftliche Begleitung der Therapieverfahren ein weiterer Schwerpunkt des Kontinenz- und Beckenbodenzentrums am UKM: In einem nach Aussage der UKM-Experten bisher einzigartigen Studienprojekt evaluieren die Mediziner der Frauenklinik die Wirksamkeit der neuen OP-Methode mittels eines neuen Ultraschallverfahren, dem so genannten Gewebedoppler. „Mit seiner Hilfe überprüfen wir exakt den Grad der Elastizität der stabilisierten Beckenbodenstrukturen. So können wir die bestehenden Therapieoptionen am UKM weiter optimieren und noch patientenfreundlicher gestalten“, weist Prof. Dr. Ludwig Kiesel auf die Bedeutung der klinischen Forschung hin.