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Es dröhnt, zieht, sticht und brummt – der Kopfschmerz hat viele Gesichter und gehört zu den häufigsten gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Insgesamt 70 Prozent aller Deutschen leiden zeitweise unter Kopfschmerzen, nur fünf Prozent der Menschheit kennen überhaupt keine behandlungsdürftigen Kopfschmerzen, so die Schätzung von Experten. Allein zehn Millionen Menschen in Deutschland sind nach Angaben der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) von einer Migräne betroffen, mindestens drei Millionen leiden unter täglichen Kopfschmerzen. In manchen Fällen gibt es eine Ursache für die Kopfschmerzen: Wer beispielsweise erkältet ist oder nach einer durchfeierten Nacht mit viel Alkohol Kopfschmerzen hat, der leidet unter sekundären Kopfschmerzen. Kopf-schmerzen können jedoch auch selbst eine Erkrankung darstellen. Bei diesen so ge-nannten primären Kopfschmerzen hat der Schmerz keine äußere Ursache, sondern stellt eine angeborene Veranlagung dar. Die häufigsten und bekanntesten Arten in diesem Bereich sind Migräne und Spannungskopfschmerzen. Hier reicht ein schneller Griff zur einfachen Schmerztablette in der Regel nicht aus. „Für viele Patienten ist es nach jahrelangem Leiden oft eine regelrechte Erleichterung, wenn eine Diagnose feststeht. Viele müssen erst verstehen, dass es keine Ursache für ihren Schmerz gibt, sondern der Kopfschmerz selbst die Erkrankung ist“, weiß Prof. Dr. Dr. Stefan Evers.Er ist Leiter der Kopfschmerzambulanz der Klinik und Poliklinik für Neurologie am Universitätsklinikum Münster (UKM), an der jährlich rund 2.500 Patientinnen und Patienten behandelt werden. „Gerade weil es so unterschiedliche Ausprägungen des Kopfschmerzes gibt, gibt es natürlich auch unterschiedliche Behandlungsansätze. Zu Beginn jeder Therapie muss deshalb zunächst eine eindeutige Diagnose stehen. Nur so können wir den Schmerz in den Griff bekommen“, erklärt Prof. Evers. Für die erfolgreiche Behandlung arbeiten er und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eng mit anderen Fachbereichen am UKM zusammen: Chronische Kopfschmerzpatienten, die – häufig bereits jahrelang - unter dauerhaftem Kopfschmerz leiden, werden in der Schmerzambulanz und -Tagesklinik der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie behandelt. Eine verstärkte Zusammenarbeit hat sich nun auch mit der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie unter der Leitung von Prof. Dr. Walter Stummer entwickelt.
Wenn Medikamente nicht mehr wirken: Operativer Eingriff lindert Schmerzen
Die UKM-Neurochirurgen kommen am UKM bei der Behandlung von Trigeminusneuralgie-Patienten zum Einsatz. In einer 45-minütigen Operation durchtrennen die Mediziner einen Kontakt zwischen einem Gefäß und einem Nerv im Gehirn. „Dieser Kontakt löst regelmäßige kleine Kurzschlüsse aus, die zu Schmerzen bei den Patienten führen. Durch einen Schnitt hinter dem Ohr gelangen wir an diese Stelle und können so den Kurschluss verhindern. Für die Patienten bedeutet das eine sichere und Erfolg versprechende Therapie“, erläutert Prof. Dr. Walter Stummer den Eingriff.
Hinter dem komplizierten Begriff Trigeminusneuralgie verbirgt sich eine spezielle Form des Kopf- und Gesichtsschmerzes. Die Betroffenen leiden unter kurzen, sehr heftigen, immer wiederkehrenden Schmerzattacken. „ Eine Trigeminusneuralgie löst nahezu unvorstellbare Schmerzen aus. Nicht bei allen Betroffenen ist eine medikamentöse Therapie erfolgreich. Daher sind wir froh, diesen Patienten in Zusammenarbeit mit den Neurochirurgen eine alternative Behandlung bieten zu können“, sagt Prof. Evers.
Wenn Medikamente Kopfschmerzen auslösen: Multimodales Therapiekonzept bei chronischen Kopfschmerzen
In der Schmerzambulanz und -Tagesklinik der Klinik und Poliklinik für Anästhesio-logie werden unter der Leitung von Prof. Dr. Dipl.-Psych. Ingrid Gralow im Jahr etwa 1000 Patienten behandelt. Rund ein Drittel von ihnen leidet unter chronischen Kopfschmerzen. Viele nehmen seit Jahren täglich Medikamente ein. „Doch bei falscher Dosierung und dem falschen Medikament können sich die Kopfschmerzen sogar noch verstärken. Die regelmäßige Einnahme von Schmerzmedikamenten muss daher immer in enger Absprache mit einem Experten erfolgen. Sonst besteht die Gefahr einen medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerz zu erleiden“, warnt Prof. Gralow. Ein konsequenter Medikamentenentzug ist dann der erste Schritt. Erst danach kann der ursprüngliche Kopfschmerz, gegen den die Medikamente eingenommen werden, therapiert werden. Das interdisziplinäre Team der Schmerz-Tagesklinik bestehend aus Ärzten, Psycho- und Physiotherapeuten und Pflegerinnen entwickelt dabei auf den Einzelfall zugeschnittene Behandlungen. „Die Patienten sollen einen eigenverantwortlichen Umgang mit dem Schmerz zu entwickeln. Wir unterstützen ihn dabei, neue Verhaltensstrategien im Alltag zu etablieren, vermitteln fundierte Kenntnisse über Vorgänge bei der Schmerzentstehung und geben thera-peutische Unterstützung, um mit den täglichen Belastungen besser fertig zu werden“, erläutert Prof. Gralow das Therapieziel.
Gesunder Lebensstil kann Kopfschmerzen positiv beeinflussen
Denn vollkommene Schmerzfreiheit können die meisten Kopfschmerz-Patienten nicht erwarten. „Von einer erfolgreichen Therapie sprechen wir, wenn es uns gelingt die Häufigkeit einer Migräne unter 50 Prozent zu senken oder Schmerzattacken innerhalb von zwei bis vier Stunden in den Griff zu bekommen“, erklärt der Kopfschmerz-Experte Prof. Dr. Dr. Stefan Evers. Dieser Zustand sei für viele dauergeplagte Patienten bereits eine erhebliche Verbesserung der Lebensqualität. Und auch durch den persönlichen Lebensstil können die Patienten zu ihrem eigenen Wohlbefinden beitragen: Regelmäßiger Schlaf, eine gesunde Ernährung, ausreichend Flüssigkeit und sportliche Betätigung sind wichtige Aspekte bei der Prävention von Kopf-schmerzattacken. Wer regelmäßig unter Kopfschmerzen leidet, dem rät der Neurologe ein Schmerztagebuch zu führen: „Notieren Sie, wann Sie Kopfschmerzen haben, wie lange die Schmerzen andauern und wie intensiv sie sind. Diese Aufzeichnungen sollten Sie unbedingt mit einem Experten besprechen.“
Damit die Behandlung von Kopfschmerzpatienten in Zukunft noch effektiver erfol-gen kann, setzen die UKM-Mediziner auf Weiterbildung: Aktuelle Aspekte in der Kopfschmerztherapie sind das Thema einer Fortbildungsveranstaltung, die das UKM am Mittwoch (23. Juni) gemeinsam mit der Akademie für ärztliche Fortbildung der Ärztekammer Westfalen-Lippe und der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen für ärztliches Personal anbietet.