Klinik für Medizinische Genetik

Genetische Ursachen der Prämaturen Ovarialinsuffizienz

Die prämature Ovarialinsuffizienz (POI) ist durch eine Amenorrhoe vor dem 40. Lebensjahr und einen hypergonadotropen Hypogonadismus gekennzeichnet. Die Prävalenz für Frauen mit 40 Jahren liegt bei 1%. Die ovarielle Dysgenesie (OD), die durch einen kompletten Follikelverlust vor der Geburt charakterisiert ist, kann als die schwerste Manifestation einer POI angesehen werden. Die POI tritt in der Mehrzahl der Fälle isoliert auf, kann aber auch Teil einer syndromalen Erkrankung sein. Neben nicht erblichen Faktoren kommen auch genetische Faktoren wie Chromosomenaberrationen, monogenetische Defekte und polygen-multifaktorielle Ursachen in Frage. Inzwischen ist eine Vielzahl von Genen bekannt, deren Mutationen zur POI führen. Dennoch ist in der Mehrzahl der Fälle die Ätiologie der POI weiterhin unbekannt.
Im Rahmen der DFG-geförderten Research Unit  „Germ Cell Potential“ haben wir von 248 Patientinnen (163 POI-Patientinnen, 85 OD-Patientinnen) Material gesammelt. Bei ca 10% der POI-Patientinnen fanden sich chromosomale Aberrationen. Da es sich hierbei meist um X;Autosomen-Translokationen handelt, ist eine Störung der Meiose als ursächlicher Mechanismus denkbar. Bei einer POI-Patientin mit einer reziproken X;3 Translokation detektierten wir zusätzlich eine heterozygote Missense-Mutation in dem POI-assoziierten Gen POF1B. Aufgrund dieses Ergebnisses vermuten wir, dass bei einigen Fällen nicht nur allein die Translokation ursächlich ist, sondern dass auch weitere Mutationen einen Einfluss auf den Phänotyp haben (Ledig et al., 2015).

Desweiteren konnten wir während der ersten Förderphase mittels Array-CGH-Analysen bei 74 Patientinnen mit einer POI/OD interessante Kandidatengene detektieren (Ledig et al., 2010). Es fällt auf, dass diese Kandidatengene entweder eine Rolle bei der Meiose (z.B. PLCB1, RB1CC1), bei der DNA-Reparatur (z.B. RBBP8) oder bei der Folliculogenese oder der männlichen Fertilität in homologen Genen von Modellorganismen spielen (z.B. IMMP2L, FER1L6, MEIG1) (Ledig et al., 2010). Die zweite Förderphase ermöglichte eine Untersuchung von weiteren POI/OD-Patientinnen mittels höher auflösender Array-CGH und führte im Gegensatz zur ersten Förderphase zur Detektion von 3 rekurrierenden Imbalancen bei nicht-verwandten Patientinnen (nicht veröffentlichte Ergebnisse).

Um ein besseres Verständnis für Häufigkeiten und Genotyp/Phenotyp-Korrelationen zu erhalten, führten wir eine Mutationsanalyse von bekannten POI/OD-assoziierten Genen (FMR1, FSHR, SF1, BMP15, GDF9, FOXL2, FIGLA und NOBOX) durch. Prämutationen des FMR1-Gens konnten wir nur bei POI-Patientinnen nachweisen. FSHR-Mutationen waren die häufigste nachgewiesene Mutation in unserem Patientenkollektiv mit 4.6% bei POI-Patientinnen und 7.8% bei OD Patientinnen. Am zweithäufigsten fanden sich Mutationen des SF1-Gens (4% bei POI-Patientinnen und 4,8% bei OD-Patientinnen). Auffallend oft fanden wir jedoch bei unseren Patientinnen heterozygote FSHR-Mutationen, die aber aufgrund ihrer autosomal-rezessiven Vererbung die Manifestation einer POI/OD nicht erklären. Wir vermuten daher eine digenische Vererbung bei einer Subgruppe der POI/OD-Patientinnen. Diese Vermutung wird unterstützt durch den Nachweis einer heterozygoten SF1- und einer heterozygoten FSHR-Mutation bei einer POI-Patientin.

Neue Technologien wie das Next Generation Sequencing ermöglichen z.B. das parallele Sequenzieren vieler Gene gleichzeitig (sogenannte Gen-Panel) oder das Sequenzieren des gesamten Exoms oder Genoms einer Person (sog. whole-exome oder whole-genome) (Bashamboo et al, 2010).

Unsere Ergebnisse aus Array-CGH-Analysen und Sequenzierungen von Kandidatengenen in größeren Patientenkollektiven sind in die Entwicklung eines POI/OD-Genpanels zusammengeflossen. Dieses umfasst 26 Gene. In einer Testphase, in der wir 46 POI/OD-Patientinnen mithilfe dieses Panels analysierten, konnten wir bei 11 Patientinnen die ursächliche Mutation nachweisen (entspricht 24%).

Exom- oder genomweites Sequenzieren bietet sich insbesondere bei familiären Fällen an, bei denen mehrere betroffene Personen und z.B. nicht-betroffene Eltern sequenziert werden.

Insbesondere an der Analyse familiärer Fälle sind wir sehr interessiert. Die exomweite Untersuchung einer Familie mit drei betroffenen Schwestern führte zu der Identifizierung eines interessanten Kandidatengens. Die sich anschließende Analyse weiterer 168 Patientinnen detektierte 6 weitere Sequenzveränderungen in diesem Gen bei 6 Patientinnen.

Ausgewählte Publikationen

Bashamboo A, Ledig S, Wieacker P, Achermann JC, McElreavey K. New technologies for the identification of novel genetic markers of disorders of sex development (DSD). Sex Dev. 2010 Sep;4(4-5):213-24.

Ledig S, Röpke A, Wieacker P: Copy number variants in premature ovarian failure and ovarian dysgenesis. Sex Dev. 2010 Sep;4(4-5):225-32.

Ledig S, Preisler-Adams S, Morlot S, Liehr T, Wieacker P. Premature ovarian failure caused by a heterozygous missense mutation in POF1B and a reciprocal translocation 46,X,t(X;3)(q21.1;q21.3). Sex Dev. 2015;9(2):86-90.
 
 
 
 
 
 
 

Verantwortliche

Univ.-Prof. Dr. med. Peter Wieacker
T 0251 83-55401
F 0251 83 55393

Dr. rer. nat. Susanne Ledig
T 0251 83-55430